Für viele kam dieser Ruf aus heiterem Himmel. Ähnlich einem Linksabbieger, welchen man zwar im Auge hat, der dann aber einem, aus welchen Gründen auch immer, vor das Vorderrad zieht und zum vollen Prozedere zwingt: Vollbremsung, ausweichen und laut fluchen. Wenn man es denn schafft.
Als die ersten Meldungen zum Motorradfahrverbot in den Sozialen Medien die Runde machten, war ich wütend, tobte durch mein Atelier, fast schon soweit mein Handy quer durch den Raum zu werfen – war aber auch nicht überrascht. Es war mehr ein: »Diese verdammten (… nach belieben des Lesers einfügen …) versuchen es tatsächlich!«
Der Zwang, weit im Vorfeld das 101 absagen zu müssen und zu erleben wie viele Veranstaltungen von Freunden ebenfalls wie Strohhalme geknickt wurden, hat mich nicht nur traurig gemacht. In mir kochte über Tage eine heisse Wut. Auf die eigene Wehrlosigkeit und den Verlust der Selbstbestimmung, auch da ich als Selbstständiger davon hart getroffen wurde und bin. (Aber dies ist eine andere Geschichte.)
An diesem Wochenende, nach der Absage, ließ ich in einem Schreiben an den inneren Kreis meines Teams meiner Frustration freien Lauf. Es war meine Art ein persönliches Gegenfeuer zum Großbrand meiner obiger Wut zu legen, um nicht vollständig darin aufzugehen. Dieses Schreiben endete mit dem Satz: »Die Corona-Krise wird keine Zeit der Besinnung und des Rückzuges werden, sondern die Kojoten da draußen werden sich sammeln und ihre Chance nutzen wollen.«
Und jetzt sind sie da. Früher als selbst ich erwartet hätte.

In meinem Bildern verwende ich in großen Buchstaben das Wort Freiheit / Freedom. Man mag nun denken: »Steven, es geht »nur« um das Motorradfahren! Du holst hier etwas zu Großes, viel zu emotionales aus der Schublade. Wir leben 2020 und da draußen befindet sich die Welt in Aufruhr. Alle sind aufgebracht und führen, wild schwenkend, irgendwie »Freiheit« auf dem Banner. Du bist immer noch wütend und stehst dabei auf einem Podest.«
Stimmt, ich bin immer noch wütend – doch lieber lasse ich mich von einem Podest beissen als in einem Graben liegend, ängstlich auf die Kojoten zu warten.
Der freier Wille oder die Kunst ein Motorrad zu fahren.
Das Motorrad war und ist auch heute noch die individuellste Art der Mobilität. Es erfordert Können, Übung, Eigenverantwortung, einen offenen Geist für das Umfeld, auf wie neben dem Motorrad, sowie die Bereitschaft ein gewisses Lebensrisiko zu akzeptieren. Alles Punkte welche persönliche Freiheit, im großen und wie im kleinen, umreissen.
Das Motorrad war und ist die einzige Art motorisierter Mobilität für die der Weg von A nach B nicht ein Muss sondern der Sinn ist. Der Weg ist das Ziel und wenn das Ziel auch noch Anreiz ist, um so besser. Und oft genug ergibt sich der Sinn von A nach B nur für die Person welche hinter dem Lenker sitzt: Die persönliche Freiheit etwas zu tun ohne sich erklären zu müssen und zu wollen.
Wer mit dem Motorrad unterwegs ist, reduziert auch heute noch seine Bedürfnisse auf das Wesentliche. Ein Motorrad ist das genaue Gegenteil eines dem Zeitgeist geschuldeten »safespace« und »cocooning«. In einer Blase leben und sich selbst einsperren. Motorradfahren heißt, auch bereit sein dem Unbill dieser Welt, Regen, Hitze und vielem mehr, zu trotzen. Und als Belohnung die Schönheit ebendieser direkt am Körper wie in der Kommunikation mit anderen, oft genug weit weg von der Heimat, zu erfahren. Zu entdecken und sich für Momente frei zu fühlen – und ich wiederhole mich, auch die damit einhergehenden Lebensrisiken zu akzeptieren.

Das Motorrad war in unserer westlichen Welt nur in wirklich schwierigen Zeiten die erste Wahl für Menschen die jeden Cent umdrehen mussten. Wohl mehr ein Zwang überhaupt ein Transportmittel zu haben. Die wahre Zweirad Mobilität war immer von ihrem Charakter eine Vincent Black Shadow. Vor über 70 Jahren gebaut um Geschwindigkeit zu erzielen und über einsame Landstrassen gejagt zu werden, um damit einem ganz persönlichen und manchmal komplett sinnfreien Bauchgefühl hinterher zu jagen. Und wenn man dabei noch eine Packung Tee oder Kaffee transportieren konnte, umso besser.
Und für diese Erlebnis eines sinnfreien Bauchgefühls, welches jedes Motorrad schon allein durch seine Bauart bietet, wird es auch heute noch – oder gerade heute wieder – mit Furcht betrachtet, oft gehasst und nach Erklärungen verlangt, warum diese Art der Mobilität überhaupt noch existiert. Mäuler öffnen sich heulend und spucken Ökologie, Umweltsau, alles Todeskandidaten und zum Wohle einer besseren Gesellschaft auf den Asphalt.
Wir Motorradfahrer, wie auch »unsere« Motorradindustrie sowie -magazine, haben uns in Sicherheit gewogen.
Haben wir doch in den letzten 40 Jahren das Motorrad und uns selbst mit viel anstrengender Selbstaufgabe in Watte gepackt, unseren eigenen »safespace« um das Motorrad gebaut und uns selbst zum Teil damit ab absurdum geführt. Sicherheitstrainings, Renntrainings gebucht, bessere Motorräder, sichere Motorräder, leisere Motorräder gekauft und oft genug Testberichte ohne jedweden Esprit gelesen und akzeptiert. Am Ende dieser Kette steht die heute schon fast obligatorischen gelbe Weste und eine »Seht her, wir sind wirklich nette Menschen« Kommunikation sowie der »Rebell für einen Tag«.
Ja, wir haben uns angepasst. Warum auch nicht – das Leben war und ist kompliziert genug. »Rebell für eine Tag« ist nichts schlechtes. Kein Mensch bei klarem Verstand will sein Leben lang Rebellion zelebrieren. Kein Mensch will freiwillig den Asphalt küssen und bluten. Doch, so dachten wir, dieses Stückchen an Authentizität, Selbstbestimmung, Freiheit und Eigenrisiko passt doch sicher weiterhin und irgendwo in unser mobiles und politisches System?
Und heute – stehen wir verblüfft da und fragen: »Wie, ihr mögt uns IMMER noch nicht? Ihr werft uns das genau Selbe vor, was ihr uns schon vor 40 Jahren vorgeworfen habt? 1%, Lärm, Umweltsau?« Und man möchte schreien: »Was zum Teufel stimmt denn mit eurem Leben nicht?«

Das Motorrad war immer und wird immer ein leichtes Ziel sein. Eines der einfachsten, um es auf der Schlachtbank von Politik, Mobilität und ja, auch dem aktuellen Zeitgeist zu opfern. Denn ein Motorrad wird immer archaisch wie auch authentisch sein. Egal mit was es letztendlich angetrieben wird. Es benötigt einen freien und konzentrierten Geist am Lenker und allein von seinen Möglichkeiten ist es für die Konformität-Mobilität der »Schönen neuen Welt« irrelevant und störend.
Die deutlich gestiegene Zahl an Menschen die heute ein Motorrad fahren, hat daran nichts geändert. Bis vor drei Monaten, zum Start dieser sogenannten Pandemie, in welcher, je nach beteiligter Personengruppe, die unterschiedlichsten Spielregeln gelten, hat diese scheinbar große Zahl nur den Deckel auf dem Topf gehalten. Wie auf vieles anderes. Dieser ist jetzt weggeflogen und der Geruch den Kojoten in die Nase. Und plötzlich zeigt es sich, wie wenige wir doch sind, wie alleine wir da stehen mit unserem Glauben an Authentizität, und wie wenig unsere Stimme gilt.
Sicher, es gibt Beschwichtigungen, es wird zurück gerudert und wieder Zuckerwatte verteilt. Aber auch nur, weil wir immer noch eine der fetten Säue für Handel & Touristik in ländlichen, nicht gerade mit Reichtum gesegneten Regionen sind. Wir sind dort lästig, sie beschweren sich über uns, stecken aber unser Geld trotzdem sehr gerne ein. Motorradfahren ist nicht billig und wir sind keine »armen« Schweine. Deshalb können wir uns wahrscheinlich nochmals »freikaufen«. Das machen wir seit Jahren.
War es das? Wäre wirklich ein scheiss Schlusssatz. Nein. Ich fahre seit ich denken kann Motorrad und habe oft genug in der größten »Scheiße« die wirklich großen Momente erlebt. Das nennt sich Emotion.
Emotion ist die Kunst ein Motorrad zu fahren.
In den Garagen dieser Welt lebt das Motorrad. Gerade in den letzten Jahren wurde alte Technik wieder auf die Straße gebracht. Oft genug ehemalige Brot & Butter Motorräder, die heute wahre Perlen sind. Motorräder sind die einzige Fahrzeuggattung die stetig und in großer Zahl einem der Grundprinzipen der Natur, aus altem neues zu erschaffen, folgen. Ein altes, verstaubtes Motorrad in der Ecke ist keinen Abfall, sondern Emotion. Emotion, welche den Wunsch weckt, es mit technischem Sachverstand wieder auf die Straße zu bringen.
Und wo beide im Spiel sind, ist auch die Bereitschaft da, neugierig darauf zu sein Neues zu sehen und zu erfahren. Motorräder mit alternativen Antrieben werden mit großem Interesse betrachtet, aber auch, bei aller Emotion (negativer wie positiver) mit obigem technischem Sachverstand. Und dieser beurteilt ein Motorrad nicht nachdem was der Katalog oder die Website verspricht – und erst recht nicht nach staatlich aufgezwungenen Vorgaben. Welche aktuell, geht man ins Kleingedruckte, hinter den all so ökologisch korrekten Antrieben, eine ganz andere Sprache sprechen: Ausbeutung Dritter zur Gewinnung notwendiger Edelmetalle, Strom kommt eben nicht nur aus der Steckdose und Probleme beim Recycling.

Emotion und technischer Sachverstand. Motorradfahrer und -fahrerinnen haben viel davon.
Wir sind die, die nach dem Ankommen nochmals sanft unser Motorrad berühren und unsere Lippen dabei ein lautloses »Gut gemacht« formen. Wir sind die, die Kurven lieben. Wir sind die, die sich treffen und kommunizieren und dabei Spaß haben. Wir sind die, die friedlich ankommen, laut feiern und wieder friedlich wegfahren. Wir sind die, die erzählen und andere begeistern. Wir sind die, die schrauben. Wir sind die, die selbst entscheiden was im Zusammenspiel von Gas und Bremse passiert. Wir sind die, die eigenverantwortlich unsere Grenzen setzen. Wir sind die, die die Welt erleben und spüren.
Und für manche von uns sind 201 Meter eine 1/8 Meile.
Wir sind Motorradfahrer und -fahrerinnen. Im tiefsten unseres Herzen erinnern wir uns daran Löwen und Löwinnen zu sein – die Ur-Feinde aller Kojoten. Frei darin zu entscheiden, mit allen Risiken, wann und wohin uns unser Motorrad trägt.
Die Kojoten stehen vor uns. Lasst sie uns vertreiben.
Steven Flier
Motorrad-Enthusiast
Am 4. Juli 2020, einem Samstag, sind von unterschiedlichsten Organisationen Sternfahrten geplant. Beteiligt euch daran. Ich selbst werde ebenfalls auf der Straße sein.
Meine Ausrüstung – mein eigenes Zeug, kein sponsoring
Race: Rev’it & SHARK
Street: Belstaff & SHOEI
Credits Background-Composing: wallpapersafari.com | Danijel